Von Varanasi bin ich auf dem Weg nach Neu Delhi, um dort mein Visum für Thailand zu beantragen. Dazwischen liegt Agra, wo sich eines der sieben Weltwunder, das Taj Mahal befindet. Also lege ich einen Zwischenstopp ein. Ich fahre wieder mit dem Nachtzug. Das ist kostengünstig und lustig. Die indischen Zugtoiletten halten ihr Versprechen über das, was man von ihnen sagt. Ich stelle auch fest, dass sich jemand beim Zugriff auf den Nothammer, um die Scheiben einzuschlagen, richtig Gedanken gemacht hat.

Wer das Rätsel löst, bekommt ein Eis.

Ich bemerke, wie jemand bei voller Fahrt des Zuges die Wagontür zum Ein- und Aussteigen öffnet und hinaus schaut. „Das geht also auch“ – denke ich mir. Also suche ich mir eine eigene Wagontür und öffne sie ebenfalls. Es gibt allerhand draußen zu sehen. Der Zug hält öfters einmal. Leute springen hinaus und verrichten ihre Notdurft auf dem leeren Nachbar-Gleis. Ein paar Türen weiter sehe ich einen Urinstrahl aus dem Wagon kommen. Der Pisser muss also zwangsläufig in der Tür stehen. Na gut. Der Zug setzt sich langsam wieder in Bewegung. Nach und nach steigen die Leute wieder ein. Hinter mir im Wagon steht ein Mann und macht körpersprachliche Bewegungen, dass er mal an die Tür will. Wahrscheinlich will er etwas ausspucken. Das war innerhalb der letzten halben Stunde schon zwei mal der Fall. Ich drehe mich zur Seite und mache Platz. Aber nein. Er bleibt in der Tür stehen und schaut selbst hinaus. Schön dreist. Ohne etwas zu sagen und direkt körperlich werdend, dränge ich mich wieder vor an meinen alten Platz. Denn viele Inder sind so dreist. Sie drängen sich in Warteschlangen einfach vor mich. Ich packe sie dann und schubse sie wieder raus. Aber auch diese für mich eigentlich ungewohnte Handlung scheinen sie schon von ihren Mitmenschen zu kennen.

Ich schaue weiter nach draußen. Ich sehe Felder, Schweine, Kinder – die dem Zug anschauen, eine tote Kuh mit daneben stehendem Kalb, einen Inder – der sein Geschäft direkt am Gleis verrichtet – den blanken Hintern in meine Richtung zeigend. „Das ist doch nicht sein ernst“ – denke ich mir. „Doch, scheint so. Jedenfalls kommt da auch was hinten raus.“

Als ich morgens um 8:30 mit zwei Stunden Verspätung aus dem Zug steige, geht die wilde Fahrt mit der Rickshaw weiter. Die Informationen zu meiner Unterkunft sind auf dem Handy gespeichert. Während der Fahrt macht der Akku schlapp. „Kein Ding“ – denke ich mir – schließlich habe ich einen Ladeakku dabei und krame ihn raus. Nur das Ladekabel bleibt verschollen. Verloren. „Verdammt.“ Als der Fahrer mich absetzt, weiß ich aus der Erinnerung ans Kartenstudium, dass das Hostel in der Nähe ist. Nur wo? Ich laufe ein paar hundert Meter die Straße auf und ab, doch nichts zu sehen. Nächste Möglichkeit – Café mich Wifi. Cafés gibt es einige, nur kein Wifi. Das ist schlecht. Ein Aufeinandertreffen mehrerer widriger Umstände. Dazu kommt noch, dass das ein neues Hostel ist. Deswegen kennt das auch keiner.

Nach einer Stunde gelingt es mir einen Inder mit Internet-Handy aufzugabeln, der den Namen des Hostels für mich googelt. Okay. Dreißig Meter weiter finde ich den Eingang. Ich klingele. Von innen schauen zwei indische Gesichter durch die Tür aus Eisenstäben. Ich frage sie in englisch, ob ich hier richtig bin. „Yes.“ Ich frage, ob sie mich reinlassen. „Yes.“ Aber sie öffnen nicht die Tür. Ich frage, ob sie mich verstehen. „Yes.“ Ich frage: „No english?“ „No. No.“ Na geil. Jetzt habe ich mich also in ein indisch sprechendes Hostel eingebucht, wo die Angestellten nicht kapieren, dass man Fremden mit Rucksack besser die Tür aufmacht. Ich stehe draußen und schaue die Inder durch das Türgitter an. Die Inder stehen drinnen und schauen mich durch Türgitter an. Gefühlte Minuten lang. Bilder vom Zoo gehen mir durch den Kopf – wegen der Gitterstäbe und dem Glotzen und so. Ein Dritter kommt dazu. Er hat verstanden, dass man Leuten mit Rucksack die Tür öffnet. Ich frage: „Wifi?“ – und bekomme den Code.

Ich öffne den English-Hindu Translator bei Google (englisch übersetzt sich besser in andere Sprachen als Deutsch) und frage, wo die englisch sprechende Person ist. Es wird zum Hörer gegriffen und angerufen. Anscheinend versteht der Inder, was ich von ihm will. Ein paar Minuten später kommt ein wieder ein anderer Inder vorbei, der Chef des Hauses. Er weiß von meiner Buchung – alles gut. Ich bekomme sogar ein Einzelzimmer – inklusive Mücken darin. Es sind wirklich sehr sehr viele.

Ich habe die neben meinem Kopfkissen sitzenden Mücken schnell mal mit Linien verbunden. „Malen nach Mücken.“

Nachdem ich mein Gepäck abgelegt habe, breche ich zum Weltwunder auf. Ich bezahle meine 14 Euro Eintritt und wusele, wie alles anderen Menschen, eine halbe Stunde durch die Anlage. Dann habe ich verstanden, worum es geht. Abgehakt. Hier die obligatorischen Bilder.

Irgendwie geben mir diese Gebäude nicht so viel. Klar, es ist ein schönes Statussymbol, wenn ich erzähle, dass ich da war. Aber einen echten Mehrwert bieten sie mir nicht. Da schaue ich lieber aus dem Zug hinaus. Aber das ist nicht so status-trächtig. Also mache ich einfach beides.

Nachmittags will ich mir ein neues Ladekabel holen. Aber es darf nur wenig kosten. Die Inder haben über Nacht ihre „großen“ Scheine gesperrt. 500 Rupies (7€) und 1000 Rupies (14€) sind für den Geldverkehr gesperrt. Schön, dass ich fast nur 500er habe. Noch 400 Rupies bleiben mir zum bezahlen von Alltäglichem. Banken und Geldautomaten sind seit 2 Tagen geschlossen.

Beim Kabelkauf versuche ich einen neuen Verhandlungs-Trick. Und zwar lasse ich es so aussehen, als will ich gar nicht wirklich ein Ladekabel haben. Ich will es „für einen Freund.“ 250 Rupien soll es laut Verkäufer kosten. Ich habe mit mir selbst vereinbart, dass ich maximal 200 Rupien (2,8€) ausgeben will. Der Verkäufer fordert mich auf das iPhone zu zeigen, um das Kabel zu testen. Eine Falle. Ich sage: „Habe ich nicht – das Kabel ist für einen Freund. Ich will auch nicht so viel ausgeben.“ Maximal 100 Rupien.“ Der Verkäufer zaubert ein anderes Kabel vor, welches schon rostig ist. Das will er mir für 100 Rupien geben. Ich sage, dass ich das neue haben will, aber für weniger Geld. Der Verkäufer stellt sich an. Ich sage: „Es ist nicht so wichtig, es war nur für einen Freund – und bin im Begriff zu gehen (was zum Verhandlungsspiel gehört)“ 180 Rupien letztes Angebot höre ich vom Verkäufer. Ich ziere mich noch ein bisschen und willige ein. Ich gebe ihm zu verstehen, dass wenn das Kabel nicht funktioniert, ich zurück komme und mir mein Geld wieder hole. Nach dem Verlassen des Ladens gehe ich einmal um die Ecke und schließe das Kabel an – funktioniert.

Meine Geldsorgen löse ich in einer Wechselstube, in der ich ein paar Euros tausche – zum richtig schlechten Kurs. Die Wechsler wissen, dass durch die nächtliche Umstellung Geldknappheit herrscht. Ich wechsle 20 Euro (eigentlich 1400 Rupies) und bekomme 1200 ausgezahlt. Darunter natürlich einen 500er, die ja nicht mehr gültig sind. Diese Inder probieren es aber auch wirklich immer. Ich bestehe darauf, dass er mir 100er rausgibt.

So geht es eigentlich die ganze Zeit hier. Es ist für mich ein super Training bei mir zu bleiben. Aber das bekomme ich auch ganz gut hin. Und um das alles noch einmal zu relativieren. Ich finde Indien großartig und will auf jeden Fall ein zweites mal kommen. Sehr freundliche Menschen, eine reiche Kultur und allgegenwärtiger Spirit wiegen schwerer als die kleinen Geschichtchen rings herum.

Während ich diesen Artikel geschrieben habe, war zwischendurch auch mal eine halbe Stunde Stromausfall. Indien muss man einfach lieben.

PS: Und Abend wurde das Wasser abgestellt, hahaha. 😀

6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

War das eventuell ein Vorgeschmack auf das, was uns vielleicht noch bevorsteht mit dem Aus dem Verkehr ziehen der 500er und 1000er Scheine (die dort am häufigsten sind)?
Egal, sehr schöne Eindrücke. Und ein Selfie mit dem großen weißen Ding da macht sich immer gut bei instagram (siehe auch „living the instagram life“).

Und noch einmal:
Noch (brutto) 7 Monate, 17 Tage und der Rest von heute.

Lieber Sebage,
es lohnt sich in jedem Fall die Augen für Entwicklungen offen zu halten.
Trennung:
Die Zeit tickt.

Sehr guter Beitrag. Ich habe herzlichst gelacht.

Die sind schon echt verrückt hier.

Ich hoffe doch mal, dass man die Scheibe vor dem Nothammer nach oben herausziehen kann, oder?

Konnte man natürlich nicht. Habe ich probiert.